Das Ampel-Aus
Welche Reformvorhaben sind gefährdet?
Mit dem Bruch der Ampelregierung und den angekündigten Neuwahlen zum 23. Februar 2025 stehen viele sozialpolitische Vorhaben auf der Kippe. Ihr Wegfall hätte zum Teil weitreichende Implikationen für die Gesellschaft. Um Orientierung in unübersichtlichen Zeiten zu bieten, nehmen wir die wichtigsten, vom vorgezogenen Regierungswechsel bedrohten Vorhaben unter die Lupe.
Rentenreform
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat verkündet, dass das Rentenpaket II in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt wird. Es enthielt zwei zentrale, lang diskutierte Maßnahmen: die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48% bis 2040 und die Einführung eines „Generationenkapitals“. Dieses Kapital sollte die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) langfristig auf eine breitere Basis stellen und den prognostizierten Anstieg der Rentenbeiträge schmälern. Der jährliche steuerliche Zuschuss zur Finanzierung der GRV beträgt mittlerweile fast ein Viertel des Bundeshaushalts – Tendenz steigend. Durch das Scheitern des Pakets droht das Rentenniveau ohne ein Gegensteuern ab 2027 zu sinken, was das Armutsrisiko für künftige Rentner:innen erhöhen würde.
„Tarif auf Rädern“
Der sogenannte „Tarif auf Rädern“, der Steuerzahler:innen vor den Folgen der kalten Progression schützen sollte, könnte nun ebenfalls nicht umgesetzt werden. Der ursprüngliche Plan sah vor, bis 2026 durch regelmäßige Anpassungen der Grundfreibeträge und Tarifeckwerte an die Inflation rund 23 Milliarden Euro an Steuerentlastungen zu erreichen. Scheitert das Vorhaben, könnten insbesondere mittlere und niedrige Einkommen durch die kalte Progression stärker belastet werden, da diese Gruppen einen größeren Anteil ihres Einkommens an Steuern zahlen müssten, ohne real mehr zu verdienen. Auch wenn eine manuelle Anpassung der Tarifeckwerte weiterhin möglich wäre, würde der geplante Automatismus dauerhaft Entlastung und Planbarkeit schaffen, die ohne ihn ausbleibt.
Bürgergeld
Die geplante Verschärfung beim Bürgergeld, die als Teil der Wachstumsinitiative im Oktober verabschiedet wurde, könnte ausbleiben. Der Gesetzentwurf sah Sanktionen von bis zu 30 Prozent des Regelsatzes vor, etwa bei verpassten Terminen oder abgelehnter zumutbarer Arbeit. Mit einer sogenannten „Anschubfinanzierung“ sollten zudem Langzeitarbeitslose, die mehr als zwölf Monate in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit beschäftigt sind, einmalig 1.000 Euro erhalten. Während die Sanktionen eine Erschwerung des Zugangs zu Sozialleistungen und eine potenzielle Zunahme von Stigmatisierungen für Leistungsbeziehende bedeutet hätten, wäre die Anschubfinanzierung eine Möglichkeit gewesen, stärkere Anreize für den Antritt eines nachhaltigen Arbeitsverhältnisses zu setzen.
Kindergeld
Die Ampel-Regierung plante zur Entlastung von Familien in Zeiten hoher Lebenshaltungskosten und Inflation Maßnahmen wie die Erhöhung des Kindergeldes und des Kindersofortzuschlags für 2025, um Familien mit geringem Einkommen besser zu unterstützen. Ob diese Maßnahmen wie vorgesehen umgesetzt werden können, ist derzeit unklar und hängt von der parlamentarischen Unterstützung ab, insbesondere durch Stimmen der Union im Bundestag. Obwohl die Erhöhung des Kindergeldes und des Sofortzuschlags weit hinter den ursprünglichen Plänen einer Kindergrundsicherung zurückblieben, wären sie angesichts steigender Kosten und sozialer Probleme wie Kinderarmut und Chancenungleichheit besonders wichtig, um betroffenen Familien finanzielle Unterstützung zu leisten.
Aufstiegs-BAföG
Zur Förderung der beruflichen Weiterbildung plante die Ampel-Regierung eine Reform des Aufstiegs-BAföGs. Diese Unterstützungsleistung könnten Teilnehmer:innen von Maßnahmen der beruflichen Aufstiegsfortbildung in Anspruch nehmen. Die geplante Reform umfasst unter anderem eine Erhöhung der Förderbeträge sowie des Kinderbetreuungszuschlags, was sowohl Teilnehmer:innen der beruflichen Aufstiegsfortbildung als auch der Fachkräftesicherung zugutekommen würde. Ob die Umsetzung der Reform wie geplant ab Januar 2025 stattfinden wird, ist derzeit jedoch unklar.
Beitragsbemessungsgrenze
Mit dem Ende der Ampelkoalition ist die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für Sozialversicherungen gefährdet. Dieses Vorhaben hätte höhere Einkommen in der gesetzlichen Rentenversicherung bis 8.050 Euro und in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bis 5.512,50 Euro einbezogen, wodurch höhere Beiträge fällig würden. Ohne diese Anpassung bleibt die Beitragsbemessungsgrenze auf einem niedrigeren Niveau, was finanzielle Belastungen für Gutverdiener:innen senkt, jedoch die Einnahmen der Sozialversicherung begrenzt und so langfristig deren Stabilität gefährden könnte.
Mietpreisbremse
Um den Anstieg der Mieten zu begrenzen und bezahlbaren Wohnraum zu sichern, einigte sich die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag auf eine Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029. Diese ist seit 2015 in Kraft. Der aktuelle Gesetzesentwurf durch das Bundesjustizministerium sieht vor, dass die Länder die Mietpreisbremse bis Ende 2028 anwenden können. Ob eine Umsetzung des Gesetzesentwurfes tatsächlich stattfinden wird, ist durch den Koalitionsbruch derzeit unklar.
Kein Aufschub sozialpolitischer Maßnahmen
Die Liste verdeutlicht, dass an zentralen Stellen der Regierungsagenda sozialpolitischer Handlungsbedarf besteht. Die Relevanz dieser Maßnahmen für die Lebensrealität zahlreicher Bürger:innen verbietet einen Aufschub ins Ungewisse. Die ohnehin nicht ausreichend aufeinander abgestimmten Leistungen dürfen nicht noch mehr Anspruchsberechtigte durch ihre Komplexität, ihre fehlende Zugänglichkeit oder einen Umsetzungsstau exkludieren. Aus sozialpolitischer Sicht ist daher klar, dass sich eine neue, handlungsfähige Regierung schnell diesen Herausforderungen stellen muss, um Planungssicherheit zu bieten – denn gerade bei den vulnerabelsten Gruppen unserer Gesellschaft kann Unsicherheit über Leistungsansprüche existenzielle Sorgen bereiten.