Das Ende der Ampelregierung

Lehren für eine zukunftsorientierte Sozialpolitik

Wie viel Fortschritt steckte wirklich in der „Fortschrittskoalition“? ZSP-Kommunikationsleitung Vanessa von Hilchen und Referentin Lena Eck analysieren die sozialpolitischen Entwicklungen unter der scheidenden Ampelregierung und deren kommunikative Begleitung. Sie beleuchten, warum ambitionierte Reformen scheiterten und welche Lehren sich daraus für eine zukunftsorientierte Sozialpolitik ziehen lassen.

von Vanessa von Hilchen & Lena Eck

Wie politische Kommunikation nicht geht und was eine zukünftige Regierung daraus lernen sollte

Was mit der Hoffnung auf eine echte „Fortschrittskoalition“ begann, endete in einem politischen Desaster. Die Ampelregierung, die nach den lähmenden Jahren der großen Koalition viel versprochen hatte, zerbrach an ihren eigenen Widersprüchen und gravierenden Kommunikationsfehlern. Wer Fortschritt gestalten will, muss Vertrauen aufbauen, klare Botschaften senden und die Menschen konsequent mitnehmen. Doch Menschen lassen sich nur dann von Veränderung überzeugen, wenn ihre eigene Lebenswirklichkeit mitgedacht und soziale Sicherheit garantiert wird.

Am Anfang sah alles noch nach Aufbruch aus

Das berühmte Selfie der Grünen und FDP versprach eine Koalition, die die Gegensätze der Gesellschaft produktiv machen und die Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit neu beleben würde. Der Koalitionsvertrag klang ambitioniert und machte Hoffnung auf einen echten Wandel. Doch in der Umsetzung verfehlte die Ampel nicht nur viele ihrer Ziele, sondern versäumte es auch, den Menschen glaubhaft zu vermitteln, warum ihre Maßnahmen notwendig und zukunftsweisend sein könnten.

Leere Versprechungen und verbale Beruhigungspillen

Die Legislaturperiode war schnell geprägt von Streit und kommunikativen Patzern. Der Kanzler schaffte es nicht, die Bevölkerung auf die neue Realität einzustimmen. Die großen Probleme, die Menschen in ihrer Lebensrealität stark belasten, wie beispielsweise der fehlende Wohnraum, schlechte Infrastruktur, marode Schulen oder die unsichere Altersabsicherung, wurden mit leeren Versprechungen und verbalen Beruhigungspillen flankiert. So wurde die Glaubwürdigkeit der Ampel immer weiter untergraben und die Bevölkerung mit einem Mischgefühl aus Ohnmacht und Verdrossenheit zurückgelassen.

Der Umgang mit zentralen Transformationsvorhaben wie beispielsweise dem Heizungsgesetz offenbarte, wie eine notwendige Reform durch Misskommunikation in der politischen Katastrophe enden kann. Der Wirtschaftsminister gab sich Mühe, über Social Media Transparenz und Schadensbegrenzung zu schaffen, doch wurde dabei von Angriffen der politischen Gegner und wütenden Bürger:innen übertönt.

Ähnlich chaotisch verlief der Haushaltsstreit, der die Koalition weiter schwächte. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung der Corona-Milliarden für verfassungswidrig erklärte, hätte der Moment für eine geschlossene Neuorientierung genutzt werden können. Stattdessen artete die Diskussion in einem öffentlichen Machtkampf aus.

Ein ehrliches Narrativ für mehr soziale Gerechtigkeit

Was der Ampel zudem fehlte, war ein Plan, der soziale Gerechtigkeit glaubwürdig als Prämisse allen Handelns ins Zentrum rückt. Ein Narrativ, das klar macht: Der Sozialstaat ist keine Last, sondern eine Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Stattdessen wirkte die Kommunikation der Regierung defensiv, technokratisch und oft widersprüchlich. Reformen wurden angekündigt, ohne ihre sozialen Vorteile zu betonen. So wurde Vertrauen verspielt – nicht, weil die Maßnahmen zwingend falsch waren, sondern weil sie falsch vermittelt wurden.

Politik darf soziale Gerechtigkeit nicht als eine Aufgabe von vielen begreifen, sondern als politisches Ziel, das alle Entscheidungen leitet. Sie muss zeigen, dass niemand zurückgelassen wird – nicht bei der sozial-ökologischen Transformation, nicht bei der Bildung, nicht bei der Rente. Und sie muss den Mut haben, ehrlich zu kommunizieren: über Probleme, Lösungen und die notwendigen Schritte. Die Ampel hat diese Chance vertan. Eine zukünftige Regierung darf sich diesen Fehler nicht leisten.

Was wir aus den sozialpolitischen Koalitionsversprechen und deren Umsetzung lernen können

Der inhaltliche Erfolg einer Bundesregierung misst sich auch an der Umsetzung ihrer Koalitionsversprechen. Mit dem Koalitionsvertag „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ schien aus sozialpolitischer Sicht erst einmal viel möglich: „Wir werden den Sozialstaat bürgerfreundlicher, transparenter und unbürokratischer machen, und ihn auf die Lebenswirklichkeiten unserer Zeit ausrichten.“ Sätze wie dieser, die auf ein gänzlich neues Verständnis von Sozialstaat hindeuten, gaben Anlass zur Zuversicht, dass ausgebliebene sozialpolitische Reformen der vergangenen Merkel-Jahre nun von der neuen Koalition angegangen werden würden. Zugleich gelang der Ampel-Koalition ein beachtlicher Kompromiss im Koalitionsvertrag, die Interessen unterschiedlicher Gruppen miteinander zu vereinen: Arme, Kinder und Jugendliche, Familien, Menschen mit Migrationsgeschichte, Senior:innen – allesamt fanden sie Berücksichtigung und sollten von sozialpolitischen Reformen profitieren.

Ein zunächst neues Verständnis vom Sozialstaat

Um einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessensgruppen zu ermöglichen, hatte sich die Ampel-Koalition generell zum Ziel gesetzt, die Zu- und Ausgänge sozialstaatlicher Hilfen zu verbessern. Über eine bürgernahe Kommunikation und umfassende Digitalisierung von Leistungen sollten, wo immer möglich, diese automatisch aus einer Hand ausgezahlt werden. Bürokratische und hoch komplexe Antragstellungen, bei denen Bürger:innen eigeninitiativ aktiv werden müssen, sollten fortan die Ausnahme statt die Regel sein. In der neuen Rolle stand der Sozialstaat – so die Vorstellung – seinen Bürger:innen gegenüber in einer Art „Bringschuld“.

Der erste Belastungstest für die Ampel-Regierung, diese fortschrittliche Vision des Sozialstaats in eine wasserdichte sozialpolitische Maßnahme umzusetzen, bildete das Bürgergeld. Das Ziel war, aus der verbrannten Erde um Hartz IV eine neue Grundsicherung zu schaffen. Diese sollte Menschen in schwierigen Lebenslagen ermöglichen, stigmafrei, befähigt und ohne zusätzliche Hürden im Leistungsbezug, ein ihnen zustehendes Existenzminimum und gesellschaftliche Teilhabe zu wahren. Dieses Ziel ging nicht auf.

Stattdessen wurden unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen angesichts vermeintlich knapper Haushaltsmittel gegeneinander ausgespielt. Eine kontrovers geführte Debatte entbrannte darüber, wer die eigentlichen Leistungsträger:innen innerhalb der Gesellschaft seien und wer nicht – und wer es folglich verdient habe, staatliche Unterstützung (in Form von Bürgergeld) zu erhalten. Das dominierende Thema der sogenannten „Totalverweigerer“, völlig losgelöst von den äußerst niedrigen Fallzahlen und der eigentlichen Realität vieler Menschen, verdeutlicht das Ausmaß der Diskursverschiebung.

Unterschätzte Gerechtigkeitsfragen

Eine Frage von Bedürftigkeit wurde zur Frage von „deservingness“, sprich wer in der öffentlichen Wahrnehmung Unterstützung eigentlich „verdient“ habe. Dieses Verständnis hängt stark damit zusammen, was innerhalb der Bevölkerung als gerecht angesehen wird und welche Gerechtigkeitsprinzipien zur Beurteilung herangezogen werden. Die Akzeptanz und damit auch der Erfolg einer neuen Maßnahme hängt immer auch vom derzeit geltenden Gerechtigkeitsverständnis innerhalb der Bevölkerung ab. Dieses unterliegt stets dem gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozess und unterscheidet sich, je nach Anwendungsfall.

Traditionell ist das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit in Deutschland besonders fest verankert. Ungleichheiten werden als legitim betrachtet, wenn sie auf Leistungsunterschiede zurückzuführen sind. Dass die Ampel-Regierung sich in ihrer öffentlichen Kommunikation über das Bürgergeld stark am Leistungsnarrativ orientiert hat, ist vor diesem Hintergrund also nicht verwunderlich.

Dass sie angesichts einer strengen Austeritätspolitik jedoch einen Konflikt über Bundesmittel herbeiführte, bei einer Sozialreform, die sich in erster Linie um die Wahrung des gesetzlich verankerten Existenzminimums dreht, steht exemplarisch für ihre Zerrissenheit. Angetreten mit einem Koalitionsvertrag, der den sozialen Ausgleich unterschiedlicher Interessensgruppen berücksichtigen sollte und allen ein Stück vom Kuchen versprach, gelang es der Ampel-Regierung nicht, sich geschlossen hinter ihre neue Vision eines befähigenden Sozialstaats zu stellen. Damit verspielte sie wertvolles Vertrauen in ihre Sozialpolitik.

Ein Ausspielen gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander gefährdet nicht nur den bisher zugrundliegenden Gesellschaftsvertrag, sondern letztlich auch wichtige sozialpolitische Reformvorhaben. Die neue Bundesregierung sollte sich dieser Zusammenhänge und ihrer politischen Verantwortung bewusstwerden, wenn über eine Neuauflage des Bürgergeldes diskutiert wird.

Weiterführendes

Welche sozialpolitischen Reformvorhaben durch das Aus der Ampelregierung bedroht sind, lest ihr ebenfalls auf unserem Blog.

Autor:innen

Vanessa von Hilchen

Leitung Kommunikation

vonhilchen@
zentrum-neue-sozialpolitik.org

Lena Eck

Referentin Zukunftsfähiger Sozialstaat

eck@
zentrum-neue-sozialpolitik.org