Als ich beschloss, meine beiden Kinder nicht schon mit einem Jahr in die Betreuung zu geben, fühlte sich das zunächst nach einer freien Entscheidung an. Mein Beruf als Produzentin, Sängerin und Unternehmerin ließ es zu – oder besser gesagt: Mein Partner und ich schafften es irgendwie, es möglich zu machen.
Doch schnell wurde klar, dass diese Freiheit ihren Preis hat. Statt klarer Arbeitszeiten und planbarer Abläufe lebte ich zwischen Zoom-Calls und Spielsachen, zwischen Musikproduktion in der Mittagspause und Geschäftsentscheidungen mit Kind auf dem Schoß. Ein Alltag, der Nähe schenkt – aber auch erschöpft.
Für mich wiegt diese Erschöpfung besonders schwer. Seit fast zwanzig Jahren lebe ich mit der Diagnose Multiple Sklerose. Für mich bedeutet Zeit nicht nur Entlastung, sondern medizinische Notwendigkeit: Pausen und Schlaf sind essenziell. Wenn sie fehlen, schwächt das meinen Körper und verschärft die Krankheit. Doch das ist kein individuelles Schicksal. Auch für Menschen ohne Vorerkrankung gilt: Wer dauerhaft zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit zerrieben wird, lebt in einem Zustand chronischen Stresses – mit Folgen für Psyche und Körper.
Genau hier wird Zeit zu einer sozialen Frage. Wir sprechen oft über Vereinbarkeit, über Flexibilität, über Modelle von Voll- und Teilzeit. Doch selten wird betont: Zeit ist auch eine Gesundheitsressource. Wenn sie fehlt, entstehen nicht nur individuelle Krisen, sondern gesellschaftliche Folgekosten – von steigenden Krankheitsraten bis hin zu sinkender Produktivität und geschwächtem sozialen Zusammenhalt.
Die Frage ist also: Wie gesund kann ein Leben sein, das keine Zeit lässt? Wahre Selbstfürsorge beginnt nicht beim Achtsamkeitstraining, sondern bei Strukturen, die echte Pausen ermöglichen – in Unternehmen, in Familienpolitik, in unserer Alltagskultur. Gesundheit braucht Zeiträume: für Regeneration, Nähe, Schlaf.
Bis dahin bleibt Zeit für viele von uns ein hart erkämpfter Zwischenraum – wertvoll, fragil und viel zu knapp.