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Projekt Lebensqualitätsminimum beim FIS-Forum 2024

von Zentrum für neue Sozialpolitik

Beim diesjährigen FIS-Forum wurde unser Kooperationsprojekt mit dem Dezernat Zukunft „Lebensqualitätsminimum“ vorgestellt. Die vom Deutschen Institut für Sozialforschung (DIFIS) organisierte Konferenz stand dieses Mal unter dem Motto „Lost in Social Policy? Forschung für eine integrierte Sozialpolitik“ und widmete sich der Frage, wie einer Fragmentierung in der Sozialpolitik durch interdisziplinäre Ansätze entgegengewirkt werden kann.

Das Panel

Im Rahmen eines Panels unter dem Titel „Sozialpolitik und ökologische Nachhaltigkeit“ präsentierte ZSP Junior-Referentin Maike Wittmann gemeinsam mit Benjamin Held von der FEST Heidelberg unser Kooperationsprojekt mit dem Dezernat Zukunft: „Lebensqualitätsminimum“. Dieses soll untersuchen, was Menschen in Deutschland für ein angemessenes Minimum an Lebensqualität brauchen, insbesondere in Zeiten der sozial-ökologischen Transformation. Im Fokus standen beim Panel neben der innovativen Methodik des Forschungsprojektes auch Potenziale und Grenzen des verfolgten Ansatzes. 

Vorgestellt wurden zunächst verschiedene bestehende Ansätze zur Bestimmung von Bedarfen eines „angemessenen“ Lebensstandards, zu dem in Deutschland bislang robuste Erhebungen fehlen. Es gebe potenziell die Möglichkeit, auf etablierte Standards wie relative Einkommensanalysen zurückgreifen, subjektive Einschätzungen von Pauschbeträgen zu erheben oder Referenzbudgets zu bestimmen. Um ohne arbiträre Setzungen auszukommen, wurde für das Projekt eine innovative Kombination verschiedener Ansätze – Referenzbudgets, Fokusgruppen sowie eine Orientierung an der Mitte – ausgewählt. Fokusgruppen-Workshops bieten als deliberatives Element die Möglichkeit, einen breiteren gesellschaftlichen Konsens über tatsächliche Bedarfe zu erarbeiten und abzubilden. So sollen Erkenntnisse darüber erlangt werden, was Menschen unterschiedlicher Haushaltstypen für ein selbstbestimmtes Leben in gesellschaftlicher Teilhabe für nötig erachten.

Maike Wittmann und Benjamin Held gingen näher auf die Potenziale und Grenzen des Einsatzes ein. Da es sich um eine Pilotstudie handele, sei die Methodik noch nicht getestet und würde einen pragmatischen Versuch darstellen, die Vorteile verschiedener Methoden zusammenzufassen. Man könne nicht absehen, welche Positionen sich in den Fokusgruppen durchsetzen und ob, trotz einem Einbezug von Nachhaltigkeits- und Transformationsaspekten, tatsächlich nachhaltiges Verhalten von den Teilnehmenden angestrebt würde.

"Wir sehen einen großen Mehrwert in Fokusgruppen, da Hinweise auf Einstellungen und Meinungen von Bürger:innen gewonnen werden können. Das ist auch für politische Entscheidungsträger:innen ein Weg, mehr über Wählerinteressen zu erfahren."
Maike Wittmann - Junior-Referentin, Zentrum für neue Sozialpolitik

Im Anschluss an die Präsentation folgte eine lebendige Diskussion mit Nachfragen aus dem Publikum. Eine Teilnehmerin interessierte sich für die Skalierbarkeit des Ansatzes und Strategien für die Übertragung ins Politische. Das Team „Lebensqualitätsminimum“ hob hervor, dass es neben dem Fokus auf die Methodik perspektivisch auch darum gehe, einen Orientierungspunkt in der politischen Diskussion um verschiedene Policies im Sozial- und Klimapolitikbereich zu schaffen. Gefragt wurde zudem, wie die Differenzierungsmerkmale der Fokusgruppen ausgewählt würden. Das Projektteam wies hierbei auf die Herausforderung einer Balance zwischen einer umfassenden Abbildung von Lebensrealitäten bei gleichzeitiger Wahrung einer breiteren Repräsentativität hin.  

Weitere Ideen zur gemeinsamen Bewältigung von ökologischen und sozialpolitischen Herausforderungen im Rahmen des von Dr. Katharina Bohnenberger und Pia Annika Lange moderierten Panels kamen von Dr. Kerem Gabriel Öktem von der Universität Bremen, der einen innovativen Ansatz zur ökosozialen Bepreisung von lebensnotwendigen Gütern vorstellte. Taube Van Melkebeke von der Green European Foundation beleuchtete die EU-Ebene zur Schnittstelle von Klimanotstand und Wohlfahrtsstaaten und schlug unter anderem eine Dekarbonisierung der sozialstaatlichen Institutionen vor. Die drei Impulse skizzierten zukunftsfähige Ansätze und Möglichkeiten, die geeignet sein könnten, sozialen und ökologischen Herausforderungen gemeinsam zu begegnen.

Key Takeaways

  • In Deutschland fehlen bislang robuste Erhebungen zu den Bedarfen eines „angemessenen Lebensstandards“
  • Das Erfahrungswissen von Menschen kann nützliche Hinweise auf diese Bedarfe liefern
  • Die Kombination verschiedener Methoden erlaubt es, sich deren inhärente Vorteile zunutze zu machen
  • Deliberative Methoden wie Fokusgruppen können dabei helfen, die Akzeptanz von politischen Maßnahmen zu antizipieren und zu erhöhen

Weitere Highlights

Keynote: Social Investment und der integrierte Wohlfahrtsstaat

Am letzten Tag des FIS-Forums sprach Prof. Dr. Anke Hassel von der Hertie School am Morgen über ein Thema, dem auch ein ZSP Policy Grant-Team sich intensiv widmet: dem Social Investment. Das Konzept kehrt von der Betrachtung sozialer Hilfen als Kostenfaktor ab und stellt stattdessen in den Vordergrund, wie investive Maßnahmen nicht nur Lebenschancen fördern, sondern auch Beschäftigungszahlen erhöhen und wirtschaftliche Produktivität steigern können. In ihrem Vortrag stellte Prof. Dr. Hassel Vorteile des Social Investment-Ansatzes in der Wissensökonomie vor und betonte, wie dieser dabei helfen könne, zu einem integrierten Wohlfahrtstaat zu gelangen.

Paneltalk: Die radikale Rechte und Sozialpolitik 

Außerdem sprach Policy Grantee Dr. Philip Rathgeb von der University of Edinburgh in einem Input mit einer anschließenden Paneldiskussion über den Einfluss der radikalen Rechten auf sozialpolitische Maßnahmen. Dabei ging er darauf ein, wie Ideologien wie Nativismus oder Autoritarismus sich u.a. darauf auswirken, wer als Gruppe betrachtet wird, die staatliche Unterstützung verdient („deserving groups“). Dies wiederum habe Konsequenzen für die Policies, die Vertreter:innen entsprechender Ideologien befürworten. Rathgeb skizzierte, wie sich dieselben ideologischen Grundgerüste international unterschiedlich niederschlagen können: In umfassenden Wohlfahrtsstaaten in Westeuropa nehme Nativismus eher die Gestalt von Wohlfahrtschauvinismus an, richte sich also gegen die grenzüberschreitende Bewegung von Menschen. In osteuropäischen Staaten trete er eher in Form von ökonomischem Nationalismus auf, wende sich also gegen die grenzüberschreitende Bewegung von Kapital.

Die Veranstaltung

Das FIS-Forum ist eine zentrale Tagung rund um das Thema Sozialpolitik, das den Wissensaustausch zwischen Forschungsgemeinschaft, Politik und Praxis fördern soll. Es wird seit 2021 vom Deutschen Institut für Sozialforschung (DIFIS) ausgerichtet.

In diesem Jahr war das übergeordnete Thema „Lost in Social Policy? Forschung für eine integrierte Sozialpolitik“. Es verweist auf die Probleme, die aus einer in vielerlei Hinsicht fragmentierten Sozialpolitik resultieren: Einzelne sozialpolitische Verantwortungsbereiche sind rigide voneinander getrennt, was Hindernisse für Sachbearbeitung wie Leistungsberechtigte mit sich bringt. Die zunehmende Komplexität sozialer Hilfen erschwert nicht nur den Zugang, sondern kann auch das Vertrauen in den Sozialstaat und seine Institutionen mindern.  

Der stellvertretende Direktor des DIFIS, Prof. Dr. Frank Nullmeier, plädierte in seinem Einführungsvortrag deshalb für übergreifende Lösungsansätze, die eine sozial gerechte, nutzerfreundliche und zugleich verwaltungseffiziente Politik ermöglichen. Die Forschung müsse konkrete Vorschläge für Maßnahmen skizzieren, damit die Politik diese umsetzen könne.

Die Impulse und Diskussionen innerhalb der zahlreichen Panels haben solche Ansätze zu einer stärker vernetzten und zugänglicheren Sozialpolitik skizziert. Einer Politik, die nicht nur die Leistungserbringung vereinfacht, sondern auch den Dialog und die Kooperation zwischen Bürger:innen, Verwaltungen und politischen Akteuren verbessert. 

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